Idealer Muntermacher aus China
Grüner Tee:
In der chinesischen Naturheilkunde weiß man schon seit langem um die positiven Wirkungen des grünen Tees auf unsere Gesundheit. Doch wissenschaftlich erforscht wird dieses Getränk erst seit etwa dreißig Jahren. Die Resultate sind erstaunlich: Grüntee beugt Herz-Kreislauf-Erkrankungen und der Entstehung bösartiger Tumoren vor, schützt vor Viren und Bakterien und ist gut für unsere Verdauung. Und grüner Tee macht wach!
von Marion Zerbst
Die Herstellung von grünen Tee
Die Gründe für die heilenden Wirkungen des Grüntees liegen in der Art der Herstellung. Das heißt, man kann aus ein und demselben Teestrauch sowohl einen grünen Tee als auch einen Schwarztee herstellen; die Blätter, die man dafür verwendet, sind die gleichen. Nur bei der Verarbeitung gibt es einige grundlegende Unterschiede, und diese sind für die grüne Farbe, das ganz andere, viel feinere Aroma und die gesundheitsfördernden Wirkungen des Grüntees bestimmend.
Bei der Herstellung von Schwarztee werden die Blätter fermentiert, das heißt, einer Oxydation unterzogen. Dies erreicht man, indem man die Blattsprossen oder Blätter nach dem Pflücken zunächst einmal in der Sonne ausbreitet und welken lässt. Während dieses Sonnenwelkens werden Fermente aktiv, die im Teeblatt enthalten sind, und diese setzen einen Oxydationsprozess in Gang.
Als nächstes werden die Blätter gerollt oder zerhackt, sodass die Inhaltsstoffe der Blattzellen an die Oberfläche treten und oxydieren. Man lässt die Blätter dann so lange fermentieren, bis die gewünschte Stufe erreicht ist. Anschließend erhitzt man sie, um den Fermentationsprozess zu stoppen. Zum Schluss werden die Blätter schließlich noch getrocknet und sind jetzt fertig zum Verpacken und Verkauf.
Beim Grüntee dagegen ist dieser Fermentationsvorgang unerwünscht und wird daher gleich nach der Ernte durch Erhitzen unterbrochen. Dafür gibt es zwei verschiedene Methoden: Feuer oder Dampf. In China wird überwiegend mit Feuer gearbeitet, in Japan mit Dampf.
Bei der chinesischen Methode lässt man das frische Blattgut in großen Pfannen über Feuer kurz rösten, um eine Fermentation zu vermeiden. In Japan dagegen werden die Blätter gleich nach dem Pflücken mit Wasserdampf behandelt – und so wird dasselbe Ziel erreicht: Grüntees sind unfermentiert.
Nach dem Erhitzen ist immer noch Flüssigkeit in den Teeblättern. Um diesen Saft an die Blattoberfläche zu bringen, rollt man die Blätter, ähnlich wie eine Hausfrau ihre Wäsche auswringt: Die Flüssigkeit tritt dabei allmählich aus dem Blattgut heraus. Anschließend werden die Blätter – im Gegensatz zum Schwarztee, den man ja nun erst noch so lange liegen lässt, bis der gewünschte Fermentationsgrad erreicht ist – sofort getrocknet.
Wertvolle Inhaltsstoffe bleiben enthalten
Durch den Fermentationsprozess erhält der Schwarztee seine dunkle Farbe und den charakteristischen Geschmack, der vielen europäischen Teefreunden inzwischen schon so zur Gewohnheit geworden ist, dass sie das viel edlere Aroma des grünen Tees, wenn sie ihn zum ersten Mal probieren, oft gar nicht richtig zu würdigen wissen. Im Grunde aber ist diese Fermentation ein Zerstörungsprozess, bei dem die wertvollsten Inhaltsstoffe des Teeblatts verlorengehen. Nicht nur die empfindlichen Vitamine werden dadurch weitgehend zerstört, auch der wichtigste Inhaltsstoff – der Gerbstoff Epigallocatechin – geht verloren.
Grüntee enthält viel mehr Fluor als Schwarztee – jenes Spurenelement, das unseren Zahnschmelz härtet und dadurch der Entstehung von Karies entgegenwirkt. Hinzu kommt, dass das im Grüntee enthaltene Koffein milder und weniger aufputschend wirkt und auch magenfreundlicher ist als beim Schwarztee.
Koffein, das anregt, ohne aufzuregen
Früher bezeichnete man das im Tee enthaltene Koffein als Tein; diese Unterscheidung hat man inzwischen aufgegeben, da beide Substanzen die gleiche chemische Formel haben. Dennoch unterscheidet sich das Koffein des Tees in seiner Wirkung ganz entscheidend von dem des Kaffees. Das Koffein im Kaffee wirkt viel rascher und intensiver; dafür klingt die Wirkung relativ schnell ab. Beim Tee hingegen tritt der anregende Effekt langsamer ein und ist auch nicht so stark; dafür hält er länger an.
Nach dem Genuss von Kaffee erreicht die Koffeinwirkung bereits nach etwa einer halben Stunde ihren Höhepunkt und legt sich im Laufe der nächsten zwei bis drei Stunden allmählich wieder. Dann kommt es zu einem erneuten „Müdigkeits-Tief“. Tee dagegen hält die geistige Leistungsfähigkeit konstant auf einem hohen Niveau. Normalerweise liegt unsere Hochleistungsphase vormittags zwischen 9.30 Uhr und 11.30 Uhr und fällt um 13 Uhr rapide ab. Bei Menschen, die frühmorgens, vormittags um halb zwölf und nachmittags um 15 Uhr jeweils eine Tasse Tee trinken, bleibt die Leistungsfähigkeit dagegen ziemlich konstant und liegt stets über der eines Nicht-Teetrinkers.
Das liegt daran, dass das Koffein im Teeblatt an Gerbstoffe gebunden ist und daher nur langsam in den Blutkreislauf abgegeben wird. Die Folge ist eine mild anregende Wirkung, eine wohltuende Mischung aus Wachsein und geistiger Entspannung. Das Koffein des Kaffees dagegen wird sofort aufgenommen, sodass nach dem Genuss einer Tasse Kaffee der Koffeingehalt im Blut schlagartig in die Höhe schießt, um dann ziemlich rasch wieder abzusinken.
Das ist übrigens auch bei Colagetränken und beim Schwarztee der Fall, weil das an die Gerbstoffe gekoppelte Koffein durch den Fermentierungsvorgang während der Schwarzteeproduktion gelöst wird. So kommt es, dass schwarzer Tee zwar weniger Koffein enthält als grüner, aber trotzdem viel aufputschender wirkt.
Da das Koffein des Grüntees nicht schon im Magen, sondern größtenteils erst im Darm resorbiert wird, ist grüner Tee auch wesentlich magenfreundlicher als Schwarztee oder Kaffee. Aus diesem Grund sagt man: „Tee regt an, aber nicht auf“ – ein Spruch, der allerdings auch eher auf den grünen als auf den schwarzen Tee zutrifft.
Viel oder wenig Koffein – Sie haben die Wahl
Ein entscheidender Vorteil des grünen Tees besteht darin, dass man den Koffeingehalt (und damit natürlich die Intensität der anregenden Wirkung) durch die Zubereitung und die Wahl der geeigneten Teesorte weitgehend selbst steuern kann – eine Möglichkeit, die beim Kaffee kaum besteht.
Zunächst einmal haben die verschiedenen Grüntee-Sorten einen sehr unterschiedlichen Koffeingehalt; es gibt Sorten mit sehr viel Koffein (wie Assam Green, Gunpowder oder den edlen japanischen Matcha), andererseits aber auch milde Sorten wie den koffeinarmen Bancha. Man kann zu unterschiedlichen Tageszeiten verschiedene Sorten trinken – morgens zum Munterwerden eher eine „Koffein-Bombe“ wie beispielsweise den Matcha, am Spätnachmittag oder gegen Abend vielleicht doch lieber einen milden Bancha.
Außerdem hängt der Koffeingehalt natürlich auch von der Dosierung ab: Je geringer die verwendete Teemenge, desto niedriger der Koffeingehalt. Wer einen Tee mit nur schwach anregender Wirkung bevorzugt, sollte höchstens einen gestrichenen Teelöffel pro Tasse oder noch weniger verwenden.
Ganz entscheidend ist auch die Dauer des Ziehenlassens. Koffein ist in heißem Wasser gut löslich. Deshalb löst sich im Teeaufguss in den ersten ein bis zwei Minuten bereits fast die ganze vorhandene Koffeinmenge – aber ohne die Gerbstoffe. Durch kurzes Ziehenlassen (zwei bis drei Minuten) erzielen wir also eine leicht „kaffeeähnliche“ Wirkung: Ein solcher Tee enthält eine hohe Menge an Koffein, das nicht mehr an Gerbstoffe gebunden ist und daher vom Körper sehr schnell aufgenommen wird. Gleichzeitig hat er aber ein sehr mildes Aroma.
Wenn wir den Tee länger (ungefähr vier bis acht Minuten) ziehen lassen, lösen sich nach und nach auch die Gerbstoffe. Das heißt, das Koffein dieses Tees wird langsamer in den Blutkreislauf aufgenommen und wirkt dementsprechend sanft und verzögert; das Aroma ist jedoch kräftiger. Tee enthält auch Theanin, eine Aminosäure, die einen Teil der Wirkung des Koffeins neutralisiert. Auch dieses Theanin wird erst bei längerem Ziehenlassen des Tees vollständig gelöst.
Auf dieser Erkenntnis basiert die bekannte Faustregel „Wenn man den Tee kurze Zeit ziehen lässt, regt er an; lässt man ihn länger ziehen, so beruhigt er“, die allerdings nicht ganz richtig ist, da Tee aufgrund seines Koffeingehalts niemals ausschließlich beruhigend wirken kann, sondern stets auch eine anregende Wirkung hat. Nur der Grad dieser anregenden Wirkung lässt sich durch die Ziehdauer variieren.
Wer den Koffeingehalt seines Tees noch weiter reduzieren möchte, kann die Teeblätter zunächst mit wenig heißem Wasser übergießen und nach einer halben bis einer Minute wieder absieben. Anschließend gießt man noch einmal heißes Wasser an und lässt den Tee wie üblich ziehen. Erst dieser zweite Aufguss wird getrunken. Der Vorteil dieser in China üblichen Methode, die man auch als „Tee waschen“ oder „Tee öffnen“ bezeichnet: Ein großer Teil des Koffeins ist in dem ersten Aufguss enthalten, den man weggeschüttet hat; außerdem ist der Geschmack bei diesem zweiten Aufguss wesentlich milder. Diese Methode empfiehlt sich beispielsweise am Abend oder für Menschen mit hohem Blutdruck, die dennoch nicht auf den Teegenuss verzichten möchten.
Der grüne Tee ist ein reines, unverfälschtes Naturprodukt, der Schwarztee hingegen ist eher ein Genussmittel mit wenig heilender oder krankheitsvorbeugender Wirkung.
Wie die heilende Wirkung des grünen Tees entdeckt wurde
Die chinesischen Naturheilkundler wussten schon seit vielen Jahrhunderten, dass der regelmäßige Genuss von grünem Tee sich in vielerlei Hinsicht vorteilhaft auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkt. Allerdings fragten sie nicht nach dem Warum; die chinesische Naturmedizin und Ernährungslehre ist eine Erfahrungswissenschaft, bei der in erster Linie die positiven Resultate zählen. Das Wissen um die Kräuter und Nahrungsmittel, die eine heilende, krankheitsvorbeugende oder lebensverlängernde Wirkung haben, wurde einfach über Jahrhunderte hinweg von Generation zu Generation weitergegeben und immer weiter ergänzt. Warum diese Substanzen so wirkten, darum kümmerte man sich erst in zweiter Linie. Hauptsache war, dass sie wirkten.
So verhielt es sich auch mit dem grünen Tee: Während die Chinesen ihn schon seit Jahrhunderten trinken und sich seiner heilenden Wirkung bewusst sind, wurde diese bei uns erst in diesem Jahrhundert erkannt und mit wissenschaftlichen Methoden erforscht. Den Anstoß dazu gab die Tatsache, dass die Japaner und Chinesen, bei denen sehr viel mehr grüner Tee getrunken wird als bei uns, wesentlich seltener an Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden als Europäer und Amerikaner.
Buddhistische Mönche trinken grünen Tee nicht nur zum Genuss, sondern weil er ihnen hilft, bei ihren endlosen Meditationen wach und konzentriert zu bleiben, ohne die innere Ruhe und Gelassenheit zu stören.
Das ideale Diät-Getränk
Für Menschen, die eine Gewichtsreduktionsdiät machen, ist grüner Tee das ideale Getränk, denn durch seine beruhigende Wirkung auf die Verdauungsorgane bringt er das knurrende, wütende Raubtier in unserem Magen zum Schweigen, das – zumindest an den ersten Tagen – gegen die ungewohnte Fastenkur protestiert. Seine anregende Wirkung hilft, die Ermüdungserscheinungen zu überwinden, die uns zu Beginn einer Fastenkur so häufig plagen. Zudem liefert er wichtige Vitamine und Mineralstoffe, die wir uns normalerweise mit der Nahrung zuführen und die uns jetzt fehlen, und trägt durch seine harntreibende Wirkung zur Entschlackung bei.
Diese diuretische Wirkung hat übrigens noch einen ganz anderen positiven Nebeneffekt: Die Nieren werden dadurch immer gut durchgespült, und es können sich keine Harnsteine bilden.
Grüner Tee: Idealer Muntermacher aus China von Marion Zerbst
Quelle: Das Schlafmagazin-Ausgabe 3/2015