Online-Sprechstunde Kommunikation am PC statt Arztgespräch?

189 Euro pro Monat kostet es den niedergelassenen Arzt, wenn er sich dem Ärztenetz Patientus anschließen will. 1000 Ärzte spielen Versuchskaninchen und beraten ihre Patienten bereits testweise übers Internet. Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein kann sich sogar vorstellen, dass diese Online-Sprechstunde über eine bestehende EBM-Ziffer abgerechnet werden kann: „Telefonat mit Bild“.

von Dr. Roxanne Dossak


Empfehlung des Arztes um Schnarchen zu verhindern

Onlinesprechstunde – Digitalisierung

Die Digitalisierung revolutioniert zur Zeit unsere Gesellschaft. Hektisch fahndet man nach neuen Strategien, doch vieles, was da diskutiert und ausprobiert wird, bleibt in alten Denkmustern verfangen. Man will innovativ sein und traut sich dennoch nicht, mit der Tradition zu brechen.

Warum zum Arzt in die Sprechstunde gehen und im Wartezimmer herumsitzen, wenn es auch bequemer von zu Hause aus geht? Der Lübecker Jungunternehmer Nicolas Schulwitz hat ein System für eine Online-Sprechstunde entwickelt, die er jetzt auf dem Markt anbietet. Bis zu 1000 Ärzte will er bis zum kommenden Jahr rekrutiert haben. Als Nächstes hat er dann die Kliniken im Visier.

Patienten können beim Erstkontakt ihrem Netzdoktor ganz allgemeine Fragen stellen, sich über Therapiemöglichkeiten informieren und die Kosten erfragen. Wenn der Patient seinen Arzt bereits leibhaftig konsultiert hat, wird es noch interessanter: Weiterführende Diagnose- und Therapiemöglichkeiten können da übers Netz besprochen werden.

Dabei ist der Aspekt der Therapietreue nicht uninteressant! Der Arzt könnte – was im Augenblick noch nicht vorgesehen ist – seinen Patienten hin und wieder selbst aktiv ansprechen und sich erkundigen, wie die Behandlung verläuft: Und er könnte ihn auch daran erinnern, seine Medikamente regelmäßig einzunehmen, sich nach deren Wirkung und Nebenwirkungen erkundigen und empfohlene Ernährungs- und Lebensstiländerungen anmahnen. (Bislang geht die Kontaktaufnahme nur vom Patienten aus.)

Über Skype kann heute jedermann zum Nulltarif telefonieren und den Gesprächspartner auch auf dem Bildschirm beobachten. Das Patientus-Netzwerk ist aber im Gegensatz zu Skype besonders geschützt.

Engmaschiges Monitoring bei chronischen Erkrankungen

Die Idee hört sich wie Zukunftsmusik an, ist aber seit den Sechzigerjahren Realität. Für die Überwachung der Astronauten entwickelte man damals eine telemetrische Überwachung vitaler Parameter wie Langzeit-EKG, um gesundheitliche Probleme zu entdecken. Die Stromkurvenverläufe werden per Datenfunk an einen zentralen Computer gesendet und dort computergestützt ausgewertet. Ein Mediziner überprüft am Ende die aufbereiteten Daten. In manchen Kliniken wird diese Überwachungstechnik eingesetzt, um schwerwiegende Herzrhythmusstörungen sofort zu erkennen und eingreifen zu können. Das bedeutet für Herzpatienten eine zusätzliche Sicherheit. Darüber hinaus lassen sich auch Blutdruck und Sauerstoffsättigung des Blutes kontrollieren.

Die telemedizinische Überwachung kann aber nicht nur bei herzkranken Risikopatienten, sondern auch bei chronischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes die Patientenversorgung verbessern. Heute geht man davon aus, dass acht bis zehn Prozent der deutschen Bevölkerung an Typ-2-Diabetes leiden. Für die Kassen bedeutet das jährliche Kosten in Höhe von 22 bis 30 Milliarden Euro. Und die Häufigkeit dieser Erkrankung wird rasant zunehmen. Die Kassen sind also quasi gezwungen, nicht nur als Kostenträger zu agieren, sondern ihre Versicherten proaktiv zu betreuen. Zum Glück macht der technische Fortschritt es heute möglich, mit verhältnismäßig einfachen telemetrischen Applikationen eine große Patientenzahl telemedizinisch zu begleiten: Gewichtsmonitoring mithilfe einer telemetrischen Körperwaage oder Blutzuckermessung, bei der die Daten zeitgleich an den behandelnden Arzt oder ein medizinisches Servicezentrum übermittelt werden. Das Problem ist nur, dass diese telemedizinische Überwachung Kosten verursacht und es keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise für ihren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nutzen gibt. Theoretisch könnte man mit solchen Methoden im Gesundheitswesen enorme Kosten einsparen und die Patienten sehr engmaschig betreuen. Denn die übermittelten Blutzuckerwerte liefern dem behandelnden Arzt gleichzeitig auch Informationen zur Therapietreue seines Patienten und zum Therapieerfolg. Damit wird ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung vermieden, das neue Kosten erzeugen würde.

Das hört sich alles sehr positiv an; doch ist zu fragen, wie die Patienten diese an sich unpersönliche Betreuung beurteilen. Denn das Problem, dass sie sich durch den Einsatz der Telemedizin kontrolliert vorkommen, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Arztgespräch steht es dem Patienten frei, über seine Therapietreue zu sprechen; die Telemedizin nimmt ihm diese Entscheidung aus der Hand, was leicht zu einer Ablehnung führen kann.

Nehmen wir nur einmal das Beispiel der Gewichtsüberwachung. Der Doktor redet sich den Mund fusselig, der Patient solle abnehmen. Und der verspricht das seinem Arzt fest in die Hand. Doch das Gewicht will nicht weichen. Wenn die Telemedizin tagtäglich eine unbestechliche Gewichtskontrolle durchführt, ist es ein Faktum, dass der Patient sich um eine Gewichtsabnahme nicht bemüht. Wer würde eine solche Kontrolle schätzen? Ist es nicht auch das Recht eines Patienten, therapeutischen Anweisungen eben nicht oder nur teilweise zu folgen? Kann das Gesundwerden Pflicht und Gegenstand einer externen Kontrolle sein?

Quelle: das schlafmagazin 4/2014