Unnatürliche Lichtverhältnisse machen uns schlaflos und krank
Heutzutage leben die meisten Menschen unter unnatürlichen Lichtverhältnissen: Tagsüber arbeiten wir in geschlossenen Räumen, womöglich sogar in Großraumbüros mit zu wenig Licht; nachts haben wir es häufig nicht richtig dunkel, weil vielleicht eine Straßenlaterne oder die nächtliche Großstadtbeleuchtung in unser Schlafzimmerfenster hereinscheint. Und immer mehr Menschen müssen nachts arbeiten und tagsüber schlafen. All das kann zu Schlafstörungen, Depressionen und anderen Erkrankungen führen.
von Annemarie Döring
Der natürliche Rythmus
Die wichtigsten Taktgeber für unsere innere Uhr sind Helligkeit und Dunkelheit. An diesen Hell-dunkel-Rhythmus haben wir uns bereits seit Jahrtausenden gewöhnt; dass er in unserem modernen Leben häufig nicht mehr gegeben ist, wirkt sich ungünstig auf Körper und Psyche aus.
Was passiert, wenn wir tagsüber kein richtiges Licht oder abends keine richtige Dunkelheit bekommen?
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das tiefgreifende Konsequenzen für unseren Schlaf und unsere seelische Gesundheit haben kann. In einer an der Charité in Berlin durchgeführten Studie wurden gesunde Probanden sechs Abende lang von sieben Uhr bis Mitternacht ständigem schwachem Licht ausgesetzt. An manchen Abenden wurden sie außerdem 30 Minuten lang mit hellem Licht angestrahlt. Bereits diese relativ geringe Lichtexposition reduzierte die abendliche Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin. Die Studie hat außerdem gezeigt, dass Licht mit blauen Spektralkomponenten sich in dieser Hinsicht besonders ungünstig auswirkt, während gelbes Licht keine negativen Effekte hatte.
Ergebnis: Wir brauchen nicht nur Schlafhygiene, sondern auch Lichthygiene!
Die Autoren der Studie stellen die Hypothese auf, dass in dieser verringerten Melatoninausschüttung vielleicht sogar die Ursache für das gehäufte Auftreten von Krebserkrankungen bei Schichtarbeitern liegen könnte, und stellen die provozierende Frage: Leiden wir vielleicht alle bis zu einem gewissen Grad unter den negativen Folgen von nächtlichem blauem oder hellem Licht – zumindest in Großstädten? Und wenn ja: Was kann man dagegen tun?
Vielleicht sollten wir uns alle um ein bisschen mehr „Lichthygiene“ bemühen, meint Dr. Dieter Kunz, Chefarzt der Abteilung für Schlafmedizin am St. Hedwig-Krankenhaus der Charité, der sich auf das Thema Chronobiologie spezialisiert hat. Vor allem Menschen mit Schlafstörungen sollten das beherzigen. Tagsüber brauchen wir möglichst helles Licht – das bedeutet (wenn man es sich aussuchen kann), in einem Haus oder einer Wohnung mit großen Fenstern zu leben, durch die viel Licht hereinkommt, und sich auch seinen Arbeitsplatz möglichst in der Nähe eines Fensters einzurichten. Außerdem sollte man sich morgens eine gewisse Zeitlang im Freien aufhalten und dabei ruhig auch ab und zu mal zum Himmel hinaufschauen: Selbst an grauen Tagen hat er immer noch eine intensivere Beleuchtungsstärke und -dichte als helle Kunstbeleuchtung. Durch viel Licht bei Tage – insbesondere am Morgen – schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Man wird tagsüber wach und leistungsfähig – und schläft nachts besser, weil das Licht als Rhythmusgeber fungiert. Außerdem ist zu wenig Tageslicht ungünstig für depressive Menschen, denen diese Düsternis „auf die Stimmung drückt“. Auch Schulen und Unternehmen sollten ihre Gebäude nach solchen Gesichtspunkten planen, um die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter bzw. Schulkinder zu erhöhen.
Und nachts? Da ist absolute Dunkelheit angesagt – „und das heißt: schwarz“, betont Dr. Kunz. Wenn Straßenlampen oder andere störende Lichtquellen ins Schlafzimmer scheinen, lohnt es sich, dunkle Rolläden oder Vorhänge anzubringen. Falls das nicht möglich ist, kann eine Schlafbrille helfen.
Schon vor dem Zubettgehen kann man sich durch günstige Lichtverhältnisse auf den Schlaf einstimmen. Wer schlecht schläft, sollte sich abends am besten schon bei schummerigem Licht die Zähne putzen. Auch wenn man nachts aufstehen muss, um auf die Toilette zu gehen, ist helles Licht kontraproduktiv, weil man dadurch erst richtig wach wird.
Alte Menschen brauchen helles Licht
Eine besonders wichtige Rolle spielt Licht für ältere Menschen, die oft unter Schlafstörungen und fragmentiertem Schlaf leiden. Im Alter wird das Auge weniger lichtdurchlässig; die Linse verfärbt sich zunächst gelb und dann leicht bläulich und filtert das für unsere innere Uhr so wichtige blauwellige Licht heraus. Außerdem wird die Pupille mit zunehmendem Alter kleiner, sodass weniger Licht hereinfallen kann. Diese altersbedingten Veränderungen mögen mit ein Grund dafür sein, dass der Tag-Nacht- Rhythmus bei Senioren häufig gestört ist und ihr Gehirn nachts weniger Melatonin ausschüttet.
Umso wichtiger ist helles Licht bei Tage für ältere Menschen; nicht nur Leiter von Senioren- und Pflegeheimen, sondern auch pflegende Angehörige zu Hause sollten dies berücksichtigen. Überhaupt ist alles, was den Tagesablauf strukturiert, wichtig für alte und vor allem für demente Menschen; denn es sorgt dafür, dass sie geistig wacher sind und nachts besser schlafen. Das heißt: tagsüber Spaziergänge und andere sinnvolle Beschäftigungen, die den Senioren Spaß machen, Vermeidung von Schlafphasen am Tag, eine entspannende Abendgestaltung und regelmäßige Zubettgehzeiten. Oft kann man den Zeitpunkt, bis ein alter Mensch ins Pflegeheim muss, durch solche einfachen Maßnahmen hinausschieben; denn gerade die nächtliche Unruhe bei alten und dementen Patienten ist für pflegende Angehörige besonders belastend.
Quelle: das schlafmagazin 4/2013